Das Thema, welches uns heute beschäftigen soll, die Lehre von der Fettsucht [Anmerkung der Redaktion: Adipositas] und ihrer Behandlung, gehört zu denjenigen Problemen der Medizin, worüber wahrscheinlich schon :« Häupter in Hieroglyphenmützen« gewiss aber „Häupter im Turban und schwarzen Barett, Perückenhäupter und tausend andere arme schwitzende Menschenhäupter“ (Heine) gegrübelt haben . Denn die Anfänge unserer Erfahrungen über diesen Gegenstand lassen sich zurück bis auf Hippocrates verfolgen, und was er über die Diät der Fetten lehrt, trifft meines Erachtens den Nagel wenigstens ungefähr auf den Kopf. Wenn ich sage, dass wir uns über die Fettleibigkeit und die Fettsucht, mit welch letzterem Wort man die hohen und höchsten Grade der Fettleibigkeit zu bezeichnen pflegt, unterhalten wollen, so präzisiere ich mit diesem Namen die Grenzen unserer heutigen Aufgabe klar genug. Ich meine, dass es nur Verwirrung in eine an und für sich sehr einfache Sache bringen heisst, wenn man, wie dies Schindler-Barnay getan hat, für die Bezeichnungen »Fettleibigkeit« und »Fettsucht« den Namen »Verfettungskrankheiten« einzuführen versucht. Denn wir verstehen doch unter Fettleibigkeit nicht die eigentlichen Verfettungen d. h. die sogenannten fettigen Entartungen, welche oft so schnell zum Zerfall und Schwunde der betreffenden Teile führen , wohin z. B. die fettige Entartung der Muskelfasern des Herzens gehört. Ich will die unter krankhaften Bedingungen auftretenden fettigen Entartungen hier nicht weitläufiger erörtern, denn sie sind uns aus der ärztlichen Praxis genügend als äusserst unheimliche, oft überaus tückische Erkrankungen bekannt. Vielleicht hat es aber ein Interesse vorübergehend Sie wenigstens darauf aufmerksam zu machen, welche mächte Rolle die Verfettungsprozesse auch bei allbekannten physiologischen Zuständen spielen. Erinnern Sie sich vor Allem der ganz normalen und bedeutungsvolllen Vorgänge, wo das Fett in den Drüsen als Sekretionsprodukt auftritt, so in erster Reihe an die Sekretion der Milchdrüsen. Gedenken Sie ferner, dass es sich bei der Rückbildung der Gebärmutter nach der Entbindung, doch wenigstens zum Teil, um die fettige Entartung ihrer Muskelfasern handelt. Indessen möchte ich, obgleich ich Fettleibigkeit und Verfettung nicht als gleichwertig betrachtet wissen will, durchaus nicht leugnen, dass bei dem uns hier interessierenden Zustande fettige Entartungen vorkommen, und dass zwischen der Fettleibigkeit einerseits und den Verfettungen lebenswichtiger Parenchyme andererseits sogar bestimmte Bindeglieder existieren. Ich will sogar hier gleich hervorheben, dass sich z. B. unter dem Einfluss der gerade bei den schlimmsten Formen der Fettsucht auftretenden, sehr hohe Grade erreichenden Blutarmut öfters und mit einer gewissen Vorliebe solche krankhafte und bedenkliche Verfettungen entwickeln. Jedoch was wir gewöhnlich als Fettleibigkeit oder als Fettsucht bezeichnen, das unterscheidet sich doch wesentlich von dem , was wir in dem gewöhnlichen Sprachgebrauche unter der Bezeichnung >>Verfettung oder fettige Entartung<< zusammenfassen. Bei der fettigen Entartung endet die Sache mit dem Absterben des betreffenden Teils, die mit Fett erfüllten Elemente werden zerstört und verfallen der fettigen Necrobiose. Bei den fettigen Infiltrationen, der Obesitas oder Adipositas, wozu auch unsere gewöhnliche Fettleibigkeit gehört, erfüllt das Fett die Elemente, ohne dass dieselben aufhören zu loben. Dass man bis heut ein scharf durchgreifendes Kriterium nicht gefunden hat, welches für alle Fälle die fettigen Infiltrationen von der fettigen Degeneration bei der mikroskopischen Untersuchung unterscheiden lässt, releviert dabei Nichts und erschüttert die Richtigkeit der angeführten Tatsachen nicht. Bei der Fettleibigkeit in ihren verschiedenen Graden handelt es sich lediglich um eine mehr oder weniger erhebliche, jedenfalls aber immer überreichliche Ansammlung von Fett in dem Binde- und zunächst wohl dem Unterhautbindegewebe. Dasselbe führt mit Recht als typischer Träger des Fettes auch den Namen des Fettzellgewebes. Denn etwas Fett hat in seinem Bindegewebe wohl jeder gesunde Mensch. Auch bei denjenigen, welche man als mager bezeichnet, findet sich hier an einzelnen Stellen etwas Fett deponiert.
Pharmig/Fettsucht / Adipositas